Einleitung

Was eigentlich ist die "New Yorker U-Bahn"?Manch einer mag schon beim Namen New York irritiert sein: ist das frühere Stadtgebiet, das heutige Manhattan gemeint? Oder ist es das als Greater New York 1898 durch Eingemeindung früherer Counties entstandene Gebiet mit den heutigen Bezirken (Boroughs) Manhattan, Bronx, Queens, Brooklyn und Staten Island (Richmond)? Ist es das zusammenhängend besiedelte Gebiet um die Kernstadt, in etwa das Verkehrsgebiet New York, mit einer Bevölkerung von gut elf Millionen Einwohnern, die sogenannte "Metropolitan Area"; oder gar das als "Standard Consolidated Area" bezeichnete statistische Gebiet aus über 20 Counties und sechs Metropolitan Areas der Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut, mit über 18 Millionen Bewohnern? Jede Betrachtung hat ihre Berechtigung. Seit der Schaffung der "Kronkolonie New York" im Jahre 1683 wurden die Abgrenzungen und Einteilungen der Region öfters geändert, eines aber war stetig: dieses begnadete Fleckchen Erde wurde mit einem Tempo und in einem Ausmaß besiedelt, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte.

Reiseführer schreiben heute von einer "ins Maßlose gesteigerten Ungewöhnlichkeit", Besucher finden eine "Herausforderung von Stadt, die kaum wieder los läßt", die "abstößt, oder Haßliebe erzeugt"; auf jeden Fall scheint es unmöglich, sich dem erregenden Einfluß dieser Stadt zu entziehen.

Und tatsächlich, an Superlativen fehlt es nicht. Hier gibt es das wohl bunteste Völkergemisch der Welt;

New York hat die größte Ansammlung von Schwarzen und Juden überhaupt. Hier findet man die meisten und größten Hochhäuser, das vielleicht größte Museum, das wohl modernste Opernhaus, den größten Theatersaal, das größte Kaufhaus, den [künftig] größten Kirchenbau, die großartigste Sport- und Unterhaltungsstätte, den größten Bahnhof, den größten und modernsten Busbahnhof, den vielleicht größten Zoo, und die meisten pro Jahr stattfndenden Abbrüche und Neubauten der Welt ... (und so weiter, und so fort).

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Eingang zur U-Bahn im Stadtteil Kew Gardens in Queens.

So verschieden sich die einzelnen Viertel - ethnisch, kulturell und sozial - im Gefüge New Yorks auch entwickelt haben, ein gut ausgebautes Verkehrsnetz hält sie zusammen.

Also warum nicht auch das gewaltigste U-Bahn-Netz der Welt? Mit über 50% im Tunnel umfaßt es knapp 400 km Streckenlänge (einschließlich Trans-Hudson-U-Bahn), und ein dichter Vorortverkehr der Eisenbahn bedient enorme Pendlerströme Richtung Long Island (u.a. bis Montauk, Greenport und Port Jefferson), Connecticut (New Haven, Waterbury und Danbury), New York State (Dover Plains, Poughkeepsie und Port Jervis), sowie New Jersey (Hackettstown, High Bridge, Trenton und Bay Head). Insgesamt werden 26 Endpunkte außerhalb der New Yorker Stadtgrenze durch die silbernen Schnellbahntriebwagen von Long Island Railroad (LIRR), Metro-North (1983 aus der Conrail hervorgegangen; beide heute zur städtischen Verkehrsbehörde MTA gehörend), sowie New Jersey Transit (1976 mit der Hoboken und Newark Division aus der Central Railroad of New Jersey hervorgegangen) erreicht. Im Stadtgebiet sorgen die Endbahnhöfe Flatbush Avenue (in Brooklyn), Pennsylvania Station (LIRR und NJ Transit), sowie Grand Central Station (Metro-North) für intensive Umsteigebeziehungen zur U-Bahn.

Wie kann man sich nun die stürmische Entwicklung des enggeflochtenen U-Bahn-Netzes historisch vor Augen führen?

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Als Folge des rapiden Stadtwachstumes im 19. Jahrhundert - die Verschiebung der Stadtgrenze kam der tatsächlichen Ausdehnung kaum nach, und eine Einwanderungswelle jagte die andere - entstanden bald die ersten Eisenbahnen. Von Westen erreichte 1836 die spätere Central Railroad of New Jersey (CNJ) in Elizabeth die Region New York;1864 fúhrte sie über die Newark Bay bis Jersey City. Schon 1852 wurde Jersey City von der New York & Erie Railroad,1857 auch von der damaligen Delaware, Lackawanna & Western Railroad erreicht. (Genau hundert Jahre später wurde der "Erie-Bahnhof" zum moderneren "Lackawanna-Bahnhof" in Hoboken verlegt.) Einen weiteren Anschluß fand Jersey City 1883 mit Eröffnung der West Shore Railroad nach Albany, sowie 1899, als die damalige Lehigh Valley Railroad ( 1875 schon bis Perth Amboy, gegenüber Staten Island) ihre Verlängerung Richtung New York eröffnete. Alle diese Strecken endeten westlich des breiten Hudson River (noch bis 1967 stellten Fähren der CNJ eine Verbindung zwischen Jersey City und Manhattan her, dann wurde der CNJ-Bahnhof geschlossen); das direkte Erreichen der New Yorker Innenstadt aus westlicher — wie auch aus östlicher - Richtung ließ bis 1910 auf sich warten. Mit Eröffnung der großzügigen, unterirdisch angelegten Pennsylvania Station an der 32nd Street, sowie zweier Eisenbahntunnel unter dem Hudson (samt anschließender Neubaustrecke über Jersey Meadows nach Newark) durch die Pennsylvania Railroad (PRR), war die westliche Bündelung aller wichtigen Fernbahn- und Vorortstrecken ins New Yorker Zentrum vollbracht. Gleichzeitig — mit der Eröffnung gleich vierer Eisenbahntunnel unter dem East River - war für die LIRR die Innenstadtanbindung und Bündelung aus östlicher Richtung (also Long Island) perfekt. (Später erfolgte nach Fertigstellung der Hellgate Bridge noch der Anschluß an die "New Haven", in Richtung Nordosten.) Weit vorher erreichten die Züge der LIRR das östliche Stadtgebiet (in Brooklyn), seit etwa 1835. Der Anfàng aller New Yorker Eisenbahnstrecken war allerdings schon 1831, als die New York & Harlem Railroad (NY&H) ihre Strecke vom Norden Manhattans zum ersten wirklich New Yorker Bahnhof (am damaligen Nordrand der Stadt, der Prince Street) eröffnete.1848 fand durch die New York & New Haven Railroad der Anschluß an die Strecke nach Hartford statt.1851 eröffnete die neugegründete Hudson River Railroad eine Uferstrecke bis East Albany,1852 verlängerte die NY&H ihre Stammstrecke nach Norden, bis Chatham. Mit der Eröffnung des neuen Grand Central Depot 1871 an der 42nd Street setzte die Gesellschaft ihrem nach Norden gerichteten Streckenimperium einen würdigen Ausgangspunkt (immerhin 19 Bahnsteiggleise). Rund 40 Jahre später wurde der New Yorker Endbahnhof, die Grand Central Station, großzügig und unterirdisch neugestaltet; seither rauschen alle Züge aus nördlicher und nordöstlicher Richtung ab der 97th Street unterirdisch (4,5 km) nach Manhattan ein.

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Schnellzug der Long Island Railroad vor grandioser Kulisse in Woodside/ Queens. In keiner anderen Stadt der Welt tritt der Eisenbahnverkehr dermaßen gebündelt wie in New York in Erscheinung.

Zurück zur U-Bahn: diese drei zentral ins New Yorker Stadtgebiet einmündenden Strecken der Eisenbahn (nur zwei große Bahnhöfe!) ließen unzweifelhaft den Ruf laut werden, eine feinere Verteilung der Reisenden- und Pendlerströme mit Beginn des Jahrhunderts zu realisieren; eine Dezentralisierung über das neugeschaffene New Yorker Stadtgebiet (von 1898) mußte her. Zwar leisteten schon die "Elevated" genannten Hochbahnen in Manhattan (seit 1878) und Brooklyn (seit 1883) ihren Dienst, doch fehlte es an einem leistungsfáhigen, alle Bezirke verbindenden und schnellen, zeitgemäßen Verkehrsmittel. Und so verdrängte zunehmend die seit 1904 stetig voranbetriebene "Subway" - also die U-Bahn - die alten Hochbahnviadukte, eine immer dichtere Flächenerschließung bis in die äußersten Winkel der Riesenstadt folgte. Die Bewältigung großer Pendlerströme aus der Region führte zu einer immer engeren Verflechtung von Vorortverkehr und U-Bahn (so z. B. die Gemeinschaftsanlage FIatbush Avenue Station/ Atlantic Avenue in Brooklyn); es entstand das zweifellos größte Schnellbahnnetz der Welt.

Wer sich nun anschickt, sich dieses ausufernde, alles übertreffende, und den "Moloch" New York durchziehende Fortbewegungsmittel zunutze zu machen, oder in Gedanken nachvollziehen zu wollen, sollte auf diesen kleinen Reisebegleiter vertrauen. Persönliches Er-fahren wird mit historischem Hintergrund, Streckenbeschreibungen und Übersichtsplänen versehen; selbst das Zurechtfinden kann hier und da erleichtert werden. Und das Nachempfinden einer faszinierend funktionierenden Infrastruktur - mit viel Charme einer wirklichen Metropole - wird allerorten spürbar.

Zur Geschichte der New Yorker U-Bahn