Municipal Subway - die U-Bahn der Stadt

Kommunalisierungspläne für die IRT und BRT

Wirtschaftliche Krisen und politische Unruhen bestimmten auch in den Vereinigten Staaten das Bild gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Im Februar 1918 entließ die BRT 25 ihrer Triebfahrzeugführer mit der Begründung der illegalen Mitgliedschaft in der Lokomotivführergewerkschaft. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungen mit der Bahngesellschaft rief die Gewerkschaft schließlich zum Streik auf. Da diese zu jener Zeit an der Tagesordnung waren, besaß die BRT in dieser Situation schon eine gewisse Erfahrung. Zur Aufrechterhaltung des Betriebes wurde anderes, nicht am Ausstand beteiligtes Bahnpersonal umdisponiert. So kam es, daß sich Fahrdienstleiter oder Bahnhofsvorsteher plötzlich im Führerstand eines Triebwagens wiederfanden. Ein normaler Betrieb war unter diesen Umständen natürlich nicht möglich; vieles wurde improvisiert, und führte schließlich auch zu dem tragischen Unglück von Malbone Street (siehe Kasten), dem schwersten Unglück in der New Yorker U-Bahn-Geschichte überhaupt.

Das Unglück von Malbone Street

1. November 1918: Edward Luciano, ein junger Dispatcher bei der BMT, erhielt nach dem Ende seiner normalen Schicht den Auftrag, einen Zug der Culver Line zu übernehmen und von Coney Island nach Park Row in Manhattan zu fahren. Dort angekommen, sollte er den gleichen Zug im Freitagnachmittags-Berufsverkehr Richtung Brooklyn über die Brighton Beach Line zurück befördern. Luciano, dessen praktische Erfahrungen zum Steuern eines Zuges sich auf wenige Stunden beschränkten, und der außerdem kaum Streckenkenntnis besaß, diente als Ersatz für die streikenden Triebfahrzeugführer. Mit der ihm betrauten Aufgabe war er jedoch sichtlich überfordert. Sein erstes Mißgeschick widerfuhr ihm, als er, von Park Row über die Fulton Street Line kommend, in Höhe Franklin Avenue, statt zur Brighton Beach Line abzubiegen, weiter geradeaus fuhr. Die Stellwerksbediensteten konnten aufgrund des durch den Streik durcheinandergeratenen Fahrplanes nicht erkennen, welcher Zug mit welchem Ziel als nächstes kommt und mußten der Achtsamkeit des Fahrpersonals vertrauen. Zudem besaß der Zug von Luciano, da es sich um einen Einsetzer handelte, keine Linienkennung. Nach dem Zurücksetzen und einigen Gleiswechseln konnte schließlich der Weg auf der ursprünglichen Route fortgesetzt werden. Auf der abschüssigen Trasse zwischen Franklin Avenue und Prospect Park gewann der Zug rasch an Fahrt. Kurz vor Prospect Park überquert das stadtauswärts führende Gleis der Brighton Beach Line in einer scharfen S-Kurve die zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellte, jedoch noch nicht in Betrieb genommene Strecke nach DeKalb Avenue. Da an dieser Stelle zusätzlich eine Straße, die Malbone Street kreuzt, befinden sich beide Strecken im Tunnel. Aufgrund des geringen Radius war die Geschwindigkeit auf 10 Kilometer pro Stunde zu verringern. Luciano, der später zu Protokoll gab, die Bremsen hätten versagt, raste stattdessen mit seinem Zug mit einer Geschwindigkeit von fast 50 Kilometer pro Stunde in die Kurve. Die Folgen waren verheerend. Die ersten drei Wagen entgleisten und zerschellten an der Tunnelwand. Da die Wagenkästen noch aus Holz gefertigt waren, konnten diese der Wucht des Aufpralls kaum irgendwelchen Widerstand entgegenbringen. Erschwerend kam hinzu, daß der Zug durch Streik und Berufsverkehr voll besetzt war. Dementsprechend hoch war die Zahl der Opfer: 94 Tote und mehrere Hundert Verletzte.

Unmittelbar nach dem Unfall begannen die Schuldzuweisungen gegen die BRT, die durch den Einsatz von unqualifiziertem Personal das Leben unschuldiger Passagiere aufs Spiel setzte. In mehreren Gerichtsverhandlungen, die sich über Jahre hinzogen, kam es jedoch zu keinem eindeutigen Urteil gegenüber den Verantwortlichen. Luciano wurde von der Anklage des Totschlages freigesprochen, und einige Beamte mußten ihren Posten räumen. In der New Yorker Bevölkerung aber blieb der Name „Malbone Street" in derart schlechter Erinnerung, daß man sich entschloß, die Straße umzubenennen. Heute ist sie als Empire Boulevard bekannt.

Doch auch unabhängig von dieser Katastrophe war die BRT zum Ende des Jahres 1918 gezwungen, Konkurs anzumelden. Die Ursachen hierfür waren zweierlei: Zum einen wirkte die allgemeine Wirtschaftskrise des Landes auch auf die Verkehrsunternehmen zurück. Der zweite, entscheidendere Grund hing aber mit den "Dual Contract"- Vereinbarungen zusammen. Dort wurde über einen Zeitraum von 49 Jahren der Fahrpreis auf fünf Cent festgelegt. Die BRT, wie auch die IRT, sahen diese Klausel bei Unterzeichnung der Verträge als ihren Schutz an gegenüber Bestrebungen, die Fahrpreise im Laufe der Zeit weiter zu senken. Durch den Krieg geriet die Entwicklung jedoch in eine andere Bahn. Der Dollar verlor an Wert und bald reichten die Einnahmen zur Deckung der laufenden Kosten nicht mehr aus. Mehrere Versuche, eine Nachbesserung der "Dual Contract"- Vereinbarungen vorzunehmen, wurden von seiten der Stadt, d.h. der Public Service Commission, abgelehnt. Als Ergebnis aus den Streitigkeiten entstand eine neue Behörde, die Transit Commission, die im Jahre 1921 die Arbeit der bisherigen PSC übernahm. Die Hauptaufgabe bestand darin, einen Ausweg aus der für alle Seiten unbefriedigenden Situation zu finden, und nach Möglichkeiten zu suchen, wie der U-Bahn-Betrieb künftig vereinheitlicht werden kann. Da aber immer auch die politischen Interessen eine Rolle spielten, und die Gründung der Transit Commission während der kurzen Amtszeit eines republikanischen Gouverneurs erfolgte, standen nach dem Regierungswechsel die Chancen für einen Erfolg des Unternehmens schlecht. Der demokratische Bürgermeister John Francis Hylan (1868-1936) erging sich in Forderungen, den privaten Gesellschaften umgehend die Betriebsrechte zu entziehen und stieß damit auf den energischen Widerspruch der Transit Commission. Diese suchte weiterhin nach einer allen Interessen gerechtwerdenden Lösung. Die kontroversen Auffassungen gipfelten schließlich in einer durch Al Smith, Gouverneur des Staates New York und Parteifreund Hylans, eingebrachten Gesetzesvorlage, der Transit Commission das Mandat zu entziehen. Das nach wie vor republikanisch dominierte Parlament lehnte diesen Antrag erwartungsgemäß ab, und es blieb wieder einmal alles beim Alten.

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Die Station Chambers Street der BMT, vollständig in Betrieb seit 1918 (mit dem Anschluß der Brooklyn Broadway Line). Zu diesem Zeitpunkt befand sich die noch existierende Vorgängergesellschaft, die Brooklyn Railway Transit Corp., kurz BRT, schon tief in der Krise.

1923 fand das ungewisse Dasein der BRT schließlich ein Ende. Eine neu gegründete Gesellschaft, die Brooklyn-Manhattan Transit Corporation, kurz BMT, übernahm Strecken, Fahrzeuge und Verpflichtungen des in Konkurs gegangenen Unternehmens.

IND - das dritte U-Bahn-System

Am 27. August 1922, einem Sonntag, wurde im Rathaus ein neues Konzept vorgestellt, das ein drittes, durch die Stadt selbst betriebenes U-Bahn-System vorsah. Die Nachricht kam im richtigen Moment. Die noch existierende BRT hatte am gleichen Tag, um Kosten zu sparen, das Zugangebot von und nach Coney Island aufgrund des schlechten Wetters drastisch reduziert. Die New Yorker ließen sich aber nicht vom Regen abhalten, und etwa Hunderttausend strömten zu ihrem Vergnügungsparadies. Verständlicherweise kam es auf den Bahnhöfen und in den Zügen zu tumultartigen Szenen, die für negative Schlagzeilen sorgten. Auch die IRT geriet in schlechtes Licht, als zur selben Zeit ein Stromausfall in Manhattan den Verkehr auf einigen ihrer Linien zum Erliegen brachte.

Bestandteil des Planes - als Independent Subway oder kurz IND bezeichnet, und in Ausmaß und Kosten das Dual Subway System nochmals übertreffend - war die Übernahme zweier wichtiger Linien der IRT und BRT, der Seventh Avenue Broadway Line in Manhattan sowie der Fourth Avenue Line in Brooklyn. In den "Dual Contract"- Vereinbarungen wurde die Möglichkeit des Rückkaufes von Strecken durch die Stadt vorgesehen. Doch ohne diese beiden Hauptstrecken war den privaten Gesellschaften keine Zukunft beschieden. Umgehend formierte sich daher aus deren Reihen ein Widerstand gegen das Vorhaben, der auch die Unterstützung durch die Transit Commission fand. Zu offensichtlich war die Tatsache, daß es dem Bürgermeister weniger um die Strecken, als um die Schwächung der beiden U-Bahn-Betreiber ging (Hylan war in jungen Jahren bei der BRT als Triebfahrzeugführer angestellt, wurde jedoch wegen angeblich "rüder" Fahrweise entlassen). In langanhaltenden, auch im Senat des Staates New York geführten Auseinandersetzungen entstand schließlich ein durch alle Parteien gebilligter Kompromiß. Für das geplante U-Bahn-System wurde eine neue Aufsichtsbehörde unter der Bezeichnung "Board of Transportation" gegründet, während die Transit Commission weiterhin ihre Befugnisse über die vorhandenen Strecken behielt. Auf die Übernahme der beiden Linien der IRT und BRT wurde verzichtet, stattdessen parallel zu diesen eigene neue Strecken vorgesehen. Das geplante Netz setzt sich zusammen aus einer Hauptlinie entlang der Eighth Avenue in Manhattan, mit dem nördlichen Endpunkt in Washington Heights an der 207th Street, und einem Abzweig zur 205th Street in der Bronx, unter dem Grand Concourse. An diese Strecke schließt sich ein weiterer den East River unterquerender Tunnel an und mündet in Brooklyn in einer unter der Jay Street und der Smith Street verlaufenden Hauptstrecke zur Church Avenue südlich des Prospect Parks. Die Hochbahn in der Fulton Street in Brooklyn wurde durch eine unter der Straße verlaufende Neubautrasse ersetzt. Entsprechend der "Dual Contract"- Vereinbarungen sollte die Hochbahn ursprünglich ausgebaut und an das U-Bahn-Netz angeschlossen werden. Hierfür war beim Bau der BRT-Strecke von DeKalb Avenue nach Prospect Park bereits eine Rampe in Höhe des Ashland Place mit vorbereitet worden. Diese blieb nun aber ohne Funktion, da die unterirdische Fulton Street Line an das neue System (als dessen Bestandteil) in Jay Street anschließt.

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Eine weitere Hochbahn mußte in Manhattan der U-Bahn weichen. Zwischen Jay Street in Brooklyn und der 53rd Street in Manhattan stellt eine zweite Hauptstrecke die Verbindung beider Stadtteile her. Diese, abermals den East River unterfahrende Linie benutzt auf ihrem Weg einen Großteil der Sixth Avenue und ersetzt hier die ehemalige Hochbahn. Ursprünglich sollte die geplante neue Linie die vorhandenen Tunnel der Hudson & Manhattan Railroad (heute: PATH) benutzen, die zwischen der 8th Street und der 28th Street unter der Sixth Avenue verlaufen. Diese Absicht wurde jedoch wieder fallengelassen; stattdessen bekam auch die H&M eine neue Bahnhofsanlage an der 33rd Street, gemeinsam mit der IND.

Während die Sixth Avenue Line und die Eighth Avenue Line in Nord-Süd-Richtung verlaufen, ermöglicht eine weitere Strecke unter der 53rd Street die Querverbindung zwischen den beiden Linien einerseits, sowie in östlicher Richtung den Anschluß von Queens andererseits. Zwischen Queens und Brooklyn sollte außerdem die erste Manhattan nicht berührende Strecke entstehen, die sogenannte Crosstown Line. Die Kosten für die Herstellung aller Linien wurden mit 338 Mio. Dollar veranschlagt. Der erste Spatenstich für das neue System erfolgte am 14. März 1925 an der Ecke St. Nicholas Avenue und West 123rd Street. Die Trassen wurden nach bewährtem New Yorker Muster größtenteils viergleisig für Express- und Localverkehr dimensioniert und befinden sich außer in South Brooklyn, wo die Strecke den Gowanus Canal auf einem Viadukt überquert, im Tunnel. Der Querschnitt wurde entsprechend dem größeren Profil der BMT-Strecken gewählt.

1932 begann eine neue Ära in der Geschichte der New Yorker U-Bahn. Die Eighth Avenue Line der IND wurde zwischen Washington Heights und dem Hudson Terminal in Downtown Manhattan für den Verkehr freigegeben. Im Gegensatz zur Eröffnung der ersten U-Bahnstrecke im Jahre 1904 fanden weder Ansprachen statt, noch gab es einen offiziellen Eröffnungszug. Alle Stationen öffneten gleichzeitig um 12.01 Uhr. Anfangs fehlte auch die Werbung auf den Bahnhöfen. War diese bei der ersten U-Bahnstrecke noch Anlaß scharfer Kritik, so empfanden die Fahrgäste jetzt die Bahnhöfe als kahl und nackt. Der Fahrpreis war bei der städtischen U-Bahn ebenso auf fünf Cent festgelegt, allerdings - die Erfahrung hatte man gewonnen - mit der Option einer Anpassung nach drei Jahren entsprechend der Inflationsrate.

1933 erschloß die IND mit der Eröffnung der Brooklyn Line den gleichnamigen Stadtbezirk und im Norden mit der Concourse Line die Bronx. Mit der Inbetriebnahme der Queens Boulevard Line von Manhattan bis Jackson Heights sowie dem nördlichen Abschnitt der Crosstown Line bis Greenpoint endete vorerst der Eröffnungsreigen. Die Ende der zwanziger Jahre nach dem großen Börsenkrach einsetzende Weltwirtschaftkrise führte auch beim Bau des Independent Subway Systems zu einer vorübergehenden Reduzierung der Arbeiten.

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Das wohl berühmteste U-Bahn-Motiv in New York: der Blick von der Station Smith-9th Streets der IND auf die Skyline Manhattans.

Als Folge blieb ebenso das 1929 der Öffentlichkeit vorgestellte "IND Second System" Utopie. Zu einer Zeit, wo noch nicht einmal deren erste Strecke eröffnet war, sollte das Netz der IND umfangreiche Erweiterungen erfahren. Die Kosten von 438 Mio. Dollar übertrafen dabei nochmals die der bereits in Bau befindlichen Strecken. An der Ostseite Manhattans kam eine neue Hauptstrecke entlang der Second Avenue hinzu (diese Planung überlebte bis in die Gegenwart). In der Bronx schloß sich daran die Boston Road Line mit mehreren Zweigstrecken an, u.a. sollte auch die White Plains Line der IRT nördlich der 180th Street übernommen werden. Vom Hudson Terminal in Manhattan wurde eine Querverbindung nach Williamsburg vorgesehen; dorthin führte ebenfalls eine von der Houston Street in der Lower East Side kommende Zweigstrecke der Sixth Avenue Line. Weitere Strecken betrafen zusätzliche Querverbindungen zwischen Queens und Brooklyn und die Erschließung weit im Osten gelegener Stadtteile, wie Springfield Gardens und St. Albans. Doch auch für die Astoria Line und die Flushing Line wurden Verlängerungen gleich mit geplant — mögliche Anzeichen einer Vereinigung?

 

Transit Authority - die U-Bahn in einer Hand